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Dr. Max Wellner
Stadtrichter Küeffner und die Martinskirche

Als in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Pfarrer der Diözese Wien den Auftrag erhielten, über die Vergangenheit ihrer Pfarrkirchen aufzuzeichnen, was zu erkunden war, kam auch der damalige Pfarrer von St. Martin, Philipp Baumgartner, diesem Auftrag 1764 nach. Seine Aufzeichnungen sind uns im "Diarium der Pfarre St. Martin" erhalten geblieben; sie wurden von seinen Nachfolgern fortgeführt. Das "Diarium" weist drei Bände auf: den ersten hat zum Großteil der genannte Pfarrer Baumgartner geschrieben, den zweiten Band zum Großteil Pfarrer Johannes Doegel; der dritte Band wurde zu Beginn unseres Jahrhunderts angelegt. Für die Erlaubnis zur Benützung dieser Aufzeichnungen bin ich Hochw. Herrn Pfarrer Dr. Norbert Höslinger zu Dank verpflichtet.

Am 16. Juli 1683 - als Wien von den Türken bereits eingeschlossen war - unternahmen türkische Streifscharen einen ersten Sturm auf die nur schwach befestigte Untere Stadt Klosterneuburgs und steckten sie in Brand; am 22. und 23. August wüteten 6000 Türken neuerdings in der Unterstadt, töteten oder verschleppten die noch verbliebenen Bewohner und plünderten und zerstörten, was noch bestand.

Die Inschrift auf dem Triumphbogen der Martinskirche sagt uns, daß die Kirche als eine Ruine in Schutt und Asche lag.

Man hatte sie wohl bald nach dem Abzug der Türken von Schutt und Brandresten gereinigt; 1699 stiftete der bürgerliche Fleischhauer Caspar Hartmann einen neuen Hochaltar. Als Hartmann im Jahre 1713 starb, fügte man seinen Grabstein in den Fußboden des Presbyteriums ein. Dieser Altar hatte ein Bild, welches die heilige Anna mit der Familie Christi und den heiligen Martin darstellte. Als später der heutige Hochaltar aus der Wiener Franziskanerkirche durch die Stadtrichterswitwe Susanna Langstöger erworben und aufgestellt wurde, kam der alte Hochaltar an die Stelle eines der beiden heute dort stehenden Beichtstühle im Schiff der Kirche.

Vermutlich hat man auch damals die hohen gotischen Apsisfenster mit Ziegeln und Bruchsteinmauerwerk bis hoch hinauf vermauert, so daß nur ihre obersten freigebliebenen Teile ein spärliches Licht spendeten. Diese Fenster wurden erst bei der durchgehenden Instandsetzung der Martinskirche 1893 bis 95 wieder frei gemacht. Gewisse Unregelmäßigkeiten im 5/8-Schluß sind bis heute geblieben, was wohl auf die nur notdürftig durchgeführten Bauarbeiten nach der Türkenzeit zurückzuführen ist.

Das Kirchenpatronat von St. Martin hatte die Stadt Klosterneuburg, und sie beharrte oft recht eigensinnig - zum Leidwesen der Pfarrer - auf ihren Rechten, die sich daraus ergaben. Die Stadt hatte schwer an den Folgen der Türkenzeit zu tragen und so wird es begreiflich, daß man nach den ersten unumgänglich notwendigen Arbeiten erst in den Zwanzigerjahren des 18. Jahrhunderts an eine richtige Wiederherstellung der Kirche und vor allem des Kircheninneren und seiner Einrichtung schreiten konnte.

Die erwähnte Inschrift am Triumphbogen besagt nur, daß die fromme Gesinnung der Bürger die Kirche wiederhergestellt habe, nennt aber keine Namen. Aus dem "Diarium" erfahren wir mehr über die Sache. Es berichtet, daß mehrere bedeutende Persönlichkeiten unserer Stadt bei der Erfüllung dieser Aufgabe mitgewirkt haben.

Die bedeutendste von ihnen ist wohl der damalige Pfarrer Leopold Pittner gewesen; er hatte sein Amt als Pfarrer 1722 angetreten und führte es bis zum Jahre 1742, in welchem er "unter den Tränen seiner Pfarrkinder" von St. Martin Abschied nahm, um im Stift das Amt des Dechants zu übernehmen. Er starb 1754. Pfarrer Baumgartner, der 1764 das "Diarium" schrieb, war 1737 in das Stift eingetreten, hat also von Pfarrer Pittner selber gehört, was er später niederschrieb.

Die zweite der hier zu nennenden Persönlichkeiten war der Stadtrichter Christoph Joseph Küeffner; er war der Schwiegersohn des Stadtrichters Valentin Langstöger und versah das Amt des Stadtrichters in den Jahren 1725 bis 1743 und ein zweites Mal von 1751 bis zu seinem Tode im Jahre 1755.

Seine Schwiegermutter Susanne Langstöger, geborene Wallenböck, erwies sich gleichfalls als eine nie ermüdende Wohltäterin der Martinskirche in dieser Zeit; sie starb 1740.

Eine bedeutende Wohltäterin der Martinskirche, des Franziskanerklosters und der Einwohnerschaft war weiters die verwitwete Fürstin Maria Dorothea von Dietrichstein, die sich im Dürnhof (später Train-Zeugsdepot) einen prächtigen Sommersitz eingerichtet hatte. Die Würdigung der Letztgenannten hat bereits Franz Maschek in den Klosterneuburger Nachrichten (1946, Nr. 18) geboten; es hätte aber jede der hier genannten Persönlichkeiten eine eingehendere Würdigung wohl verdient. Hier soll nun vom Stadtrichter Küeffner gesprochen werden.

Sein Wirken als Stadtrichter kann hier nicht dargestellt werden; es muß jedoch sehr ersprießliches gewesen sein, sonst wäre er nicht durch eine ganze Reihe von Jahren zu diesem Amte berufen worden.

Wenn wir versuchen, uns eine Vorstellung vom Zustand der Martinskirche im Anfang des 18. Jahrhunderts zu machen, so kommen wir bald zu dem Schluß, daß sich das Innere derselben vom heutigen Bild in vielem stark unterschieden haben muß. Es war zweifellos dunkler als heute; denn nicht nur die vermauerten Fenster im Chor gaben wenig Licht, auch die Fenster des Langhauses waren kleiner; eben das "Diarium" berichtet uns, daß sie erst 1883 erneuert und vergrößert worden sind. Die Inneneinrichtung war sehr bescheiden; der von Hartmann gespendete Hochaltar kann nicht groß gewesen sein, sonst hätte er nicht später in der schon genannten Nische Platz gefunden. Die 16 überlebensgroßen Apostelstatuen an den Wänden und die Walpurga-Darstellung gegenüber der Kanzel waren noch nicht da: alles in allem, das Kircheninnere konnte eher ärmlich als bescheiden genannt werden.

Wie anders ist die Schilderung des Kircheninneren, die uns Pfarrer Baumgartner 1764 gibt! Er beschreibt - wenn auch nur kurz - den prächtigen Hochaltar; außer diesem bestanden sechs weitere Altäre, vier im Hauptschiff und zwei im Seitenschiff; neben dem Hochaltar prangten zwei gemalte Bilder nach Art von Gobelins, welche die Geschichte des Richters Jephtha und die Geschichte Ahasvers und der Esther darstellten. Baumgartner nennt dann die in guter Arbeit ausgeführten Ratsherrnsitze, lobt die schöne Kanzel und vergißt auch nicht die "mit schönem Statuen-Beiwerk" geschmückte Orgel. Er verrät uns auch, daß die zwischen den Säulen des Hochaltars stehenden lebensgroßen Heiligengestalten Werke des Bruders des Stadtrichters, Joseph Franz Küeffner, sind und im Auftrag des Stadtrichters entstanden und aufgestellt wurden.

Aus späteren Stellen des "Diariums" läßt sich auch mit einiger Sicherheit schließen, daß auch der linke Seitenaltar bei der Kanzel fast ganz auf Kosten des Stadtrichters und wahrscheinlich ebenfalls von seinem Bruder geschaffen wurde. Der rechte Seitenaltar wurde von der Fürstin Dietrichstein gestiftet.

Im Seitenschiff erwähnt Pfarrer Baumgartner einen Altar des gegeißelten Heilands; dieser Altar wurde ganz auf Kosten Küeffners etwa 1748 errichtet und zeigte eine plastische Darstellung des leidenden Erlösers nach dem Vorbild des in der bayrischen Wallfahrtskirche "Auf der Wies" beim Kloster Steingaden verehrten Standbildes. Damals bestand die heutige Sakristei noch nicht, das Seitenschiff war also länger und an seinem Ende war früher ein Altar der Bäckerzeche gestanden. Diesen älteren Altar ließ nun der Stadtrichter Küeffner entfernen und an seiner Stelle den damals neuen Altar des Gegeißelten aufstellen. Vor diesem Altar erbaute Küeffner für sich und seine Familie - nach dem Vorbild seiner Schwiegereltern Langstöger, die sich eine Familiengruft in der Franziskanerkirche St. Jakob begründet hatten - eine Gruft. Sie mußte zur Zeit Kaiser Josefs II. ausgeräumt werden, besteht aber noch, wenngleich leer, und wäre durch eine Falltür in der heutigen Sakristei zugänglich.

Nach Pfarrer Baumgartner wurde dieser Altar des "Heilands auf der Wies" von der andächtigen Bevölkerung oft aufgesucht; er berichtet von vielen Gebetserhörungen; der Dank der Erhörten sei in vielen Votivtafeln festgehalten worden. Als man in den Achtzigerjahren des 18. Jahrhunderts die heutige Sakristei baute, mußte Küeffners Altar weichen; das Standbild des Gegeißelten steht heute in einer Nische an der Außenwand unserer Kirche.

In seiner Beschreibung der Kirche erwähnt Baumgartner auch zwei Oratorien, das kleinere gewährte Ausblick gegen das Seitenschiff, das größere gegen den Hochaltar. Die schmuckvollen Fensterumrahmungen, die heute das Oratorium und "blind" die gegenseitige Chorwand zieren, wurden erst 1786 angebracht, wie ihre Inschrift besagt.

Auch auf die Beleuchtung der damals etwas düsteren Kirche kommt Baumgartner zu sprechen:

es bestanden acht "Leuchten", wohl Kandelaber, zwei vor dem Hochaltar, sechs im Kirchenschiff; auf ihnen hingen wohl Lampen oder brannten aufgesteckte Kerzen.

Schon an etwas früherer Stelle hat Baumgartner mitgeteilt, daß das überraschend schön gestaltete Kircheninnere zum großen Teil dem Stadtrichter Küeffner zuzuschreiben sei; wie er aber in einem späteren Abschnitt des "Diariums" auf die Wohltäter der Kirche zu sprechen kommt, ist er voll des jubelnden Lobes über die schon genannten Hauptwohltäter, besonders preist er den Stadtrichter Küeffner. Es sei eine überaus glückliche Zeit gewesen, in der sich die Wohltätigkeit für die wiederherzustellende Kirche wie aus einem überquellenden Füllhorn ergossen habe. Nocheinmal nennt er die Leistunqen jeder einzelnen der genannten Persönlichkeiten und zählt nocheinmal auf, was Küeffner für den Wiederaufbau geleistet hat: zusammen mit Pfarrer Pittner wurden die Bürger und die (nicht hausbesitzenden) Inwohner veranlaßt, für den Wiederaufbau "Tagwerk und Hilfsarbeiten" zu leisten; die Fuhrleute wurden dazu gebracht, das Fuhrwerk unentgeltlich beizustellen; bei der Weinlese in den folgenden Jahren wurde von den Bürgern Most gesammelt, dessen Erlös gleichfalls dem frommen Zweck zugewendet wurde. Dem Stadtrichter Küeffner sei in der Hauptsache der linke der noch erhaltenen Seitenaltäre zu verdanken; der rechte wurde auf Kosten der Fürstin Dietrichstein errichtet. Das Ratsherrngestühl im Chor sei zum Teil auf Küeffners Kosten, zum Teil durch seine Uberredungskunst von der Bürgerschaft angeschafft worden. Susanne Langstöger habe die neue Orgel ermöglicht, auf Küeffners Betreiben aber habe man die Sängerknaben und den Instruktor, die durch die Langstögerstiftung erhalten wurden, für die Kirchenmusik in St. Martin eingesetzt. Die Stadt habe einen "Turnermeister" (eine Art Regens der Kirchenmusik) angestellt und so habe St. Martin eine Kirchenmusik bieten können, wie sie in Wien nicht oft zu hören gewesen sei.

Zu vielen der genannten Werke trugen Geldopfer und Vermächtnisse vieler Bürger bei - die Inschrift am Triumphbogen hat sehr recht, wenn sie verkündet, daß der fromme Sinn der Bürgerschaft die zerstörte Kirche wieder errichtet habe; weil sie aber keinen Namen nennt, ist das Verdienst Küeffners und der anderen Wohltäter in Vergessenheit geraten.

Die Seele der Bemühungen um den Wiederaufbau von St. Martin ist zweifellos Pfarrer Pittner gewesen; er muß ein ungemein liebenswürdiger und gemütvoller Mensch gewesen sein - das ersieht man auch aus der Grabinschrift für seine Mutter Constantia Pittner im Seitenschiff - es mußte aber die Tatkraft und der unermüdliche Eifer des Stadtrichters Küeffner hinzukommen, das große Werk durchzuführen.

Mit vollem Recht hat die Kommission des Klosterneuburger Gemeinderates, die 1873 eine Neuregelung der Straßennamen durchführen sollte, nach dem Stadtrichter Küeffner eine Gasse benannt; es wäre wohl zu wünschen gewesen, daß ein wichtigerer Straßenzug seinen Namen erhalten hätte. Leider hat sich bis jetzt kein Bild Küeffners gefunden, lediglich seine Unterschrift und sein Siegel sind bekannt.